trans

INSZENIERUNG
Franz Weichenberger
FRAU
Katharina Grabher
MANN
Andreas Kosek
LICHT
Stefan Kreienbühl
BÜHNE
Franka Neber
KOSTÜME
Clara Nemet-Vilaire
REGIEASSISTENZ
Anne Weber und Ruth Grabher

PREMIERE: November 2000
Pförtnerhaus (Landeskonservatorium), Feldkirch
WEITERS: 8. und 9. Jänner 2002, 20.00
die theater - Konzerthaus
Lothringerstraße 20
1030 Wien

Osterweiterung

Das "teatro caprile" hat mit seiner Frühjahrsproduktion "Hausputz" (Péter Nádas) die vielbesprochene Osterweiterung durch die Zusammenarbeit mit ungarischen Theaterschaffenden und dem ungarischen Kulturinstitut/Collegium Hungaricum auf künstlerischer und organisatorischer Ebene realisiert. Wir setzen das Projekt "Mittel- und osteuropäisches Theater (Theater als Wegbereiter des Verständnisses anderer Kulturen)" fort mit "Bilanz" des ehemaligen ungarischen Staatspräsidenten Árpád Göncz.

Das Stück

Das Zweipersonenstück setzt sich pointiert mit den unterschiedlichen Bewältigungsmechanismen der traumatischen Ereignisse des Jahres 1956 in Ungarn auseinander. Die zweiwöchige Revolution, von den Demonstrationen am 23.10. zur Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Imre Nagy am 25.10. bis zur Intervention des sowjetischen Militärs am 4. November, ist in Ungarn noch immer ein vielbeschriebenes Thema. Einerseits wird diskutiert, ob es sich nun um eine "Bürgerliche Revolution" oder den Kampf um einen "besseren" Sozialismus gehandelt hat, andererseits geht es um die Vermittlung zwischen denen, die geblieben sind und denen, die sich im Ausland eine neue Existenz aufgebaut haben.

"Bilanz", 1985 entstanden, versetzt uns ins Budapest der späten Siebziger Jahre. Eine Frau, 1956 geflohen und mit einem amerikanischen Sexualtherapeuten (Spezialist für Impotenz) verheiratet, trifft sich mit ihrem seinerzeitigen Freund. Auch er, der Agrarwissenschafter, hat seither eine Familie gegründet. Alleine in der Wohnung einer Bekannten, kommen sie sich zwanzig Jahre nach dem abrupten Ende ihrer Liaison wieder näher. Ihr Wiedersehen - kurz vor dem Abreisetermin der Frau - mündet in eine aufwühlende Infragestellung ihrer damaligen Entscheidungen.

Die Geschichtslosigkeit oder besser Unbewusstheit der Amerikaner bricht sich in der Persönlichkeit der Frau mit der auch für europäische Verhältnisse fast fanatischen Geschichtsbezogenheit der Ungarn. Allgemeingültig thematisiert das Stück persönliches Reagieren auf politische Veränderungen, die Bewertung bzw. Einschätzung von "Liebe" und "Heimat" in Extremsituationen. Diese Fragestellungen verleihen ihm in einer Welt, in der Regionalkonflikte täglich neue Flüchtlingsströme auslösen, über die Geschichte unseres östlichen Nachbarstaates hinaus, ungebrochene Aktualität.

FRAU: Sieh doch ein: es gab keine andere Wahl – entweder in die große Welt hinausgehen, nur mit dem was man am Leib hatte ...
MANN: Aus Feigheit – oder hierbleiben, nur mit dem, was man am Leib hatte ...
FRAU: Aus Feigheit. Weil du keine Courage hattest, ins Unbekannte aufzubrechen. Um neu zu beginnen ... Um fortzusetzen. Dort.

"Bilanz" wurde 1991 in Budapest uraufgeführt, 1992 stand es in Wien auf dem Spielplan des "Volkstheaters in den Außenbezirken".

Der Autor

Árpád Göncz' turbulente Biographie ist auch ein Spiegel für die magyarische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Nach dem Friedensvertrag von Trianon (1920) lag der Geburtsort seines Vaters im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, derjenige der Mutter in Rumänien. 1922 quasi als Flüchtlingskind geboren, studierte er zunächst Jura, war Journalist und Bankbeamter, hat als Hilfsschlosser gearbeitet und Gasrohre verlegt.

Während des Zweiten Weltkriegs schloss er sich dem antifaschistischen Widerstand an. Ab 1945 leitete er die Jugendorganisation der Partei der Kleinlandwirte. Drei Jahre später stoppten die Kommunisten seine Aktivitäten.

Für die Beteiligung am ungarischen Volksaufstand wurde er 1958 wegen Landesverrats 'nur' zu lebenslanger Haft verurteilt. Er nützte die Zeit zum Studium der englischen Sprache und machte sich nach seiner Begnadigung als Übersetzer von Updike, Faulkner und Hemingway einen Namen. Er schrieb Erzählungen, den Roman "Sarusok" ("Der Sandalenträger") und vor "Bilanz" die Komödie "Hinter Gittern" (1968) und das Monodrama "Die ungarische Medea" (1976).

Nach der Wende von 1989 wählte ihn zunächst der Schriftstellerverband zum Präsidenten, bald das Parlament zum Sprecher und schließlich zum Staatsoberhaupt. Sein unmittelbarer Stil und sein unprätentiöses Auftreten machten ihn zu einem der beliebtesten Politiker seines Landes. Seine Amtszeit endete Anfang August 2000. -  Er starb am 5. Oktober 2015 (wikipedia).

Die Kritik:: Packende "Bilanz" über Fortgehen und Dableiben

Mit der Inszenierung von Árpád Göncz' "Bilanz" fordert das teatro caprile das Publikum zur Auseinandersetzung mit der jüngeren ungarischen Geschichte auf. VON WALTER GASPERI

"[...] Ganz auf Gegensätze baut Göncz sein Stück auf von den Personenkonstellationen bis zu den Dialogen, die um Lüge und Wahrheit, Weggehen und Hierbleiben, amerikanisches Weltbürgertum und Heimatliebe kreisen. Bis in Details hinein werden diese sogar betont, wenn zum Beispiel der Golden Gate Bridge die Kettenbrücke gegenübergestellt wird.

Dieser antithetische Charakter des Stücks wird in Franz Weichenbergers Inszenierung durch Franka Nebers Bühnenbild noch vertieft. Links ein Bett, rechts ein Tisch und drei Stühle und in der Mitte ein Kühlschrank mit zwar überraschendem, für unsere Welt aber durchaus passendem Inhalt. Kahle graue Wände begrenzen diese Bühne, die auch farblich streng strukturiert und auf das Wesentliche konzentriert ist. So klar und überzeugend wie das Bühnenbild ist auch die Lichtregie von Stefan Kreienbühl, durch die der Blick des/der ZuschauerIn hervorragend gelenkt wird oder Szenen in bestimmtes Licht getaucht werden bis zum blutroten Schlussbild.

Es gibt in "Bilanz" keine langen Handlungen, sondern in einzelnen, teilweise kaum eine Minute langen, durch Abdunkeln getrennten Szenen zeigt Weichenberger schlaglichtartig verschiedene Aspekte der beiden Lebenswege. Erst die Addition dieser Splitter lässt im Kopf des/der ZuschauerIn ein Bild der Hauptpersonen und ihres Lebens entstehen. Die politischen Ereignisse haben das Paar getrennt und beide gewissermaßen zerstört. [...]

Mindestens in gleichem Maße wie die konsequente Inszenierung lebt "Bilanz" aber auch vom großartigen Spiel von Katharina Grabher und Andreas Kosek. Sie verkörpern ihre Figuren mit großer Intensität und tragen wesentlich zum packenden Gesamteindruck bei. [...]"

NEUE Vorarlberger Tageszeitung, 9.11.2000, S.41